Bundessozialgericht - B 8/9b...
Hilfe im Trauerfall
Bundessozialgericht -
Zur Einordnung eines Bestattungsvorsorgevertrages als Vermögen und zu dessen Verwertbarkeit.
Das Kriterium der Unwirtschaftlichkeit der Verwertung von Vermögensgegenständen gilt auch im SGB XII.
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Gründe:
I
Im Streit sind "Sozialhilfeleistungen" ab April 2004.
Die 1917 geborene Klägerin lebt seit dem 16. April 2004 in einem Alten-
Den Antrag der Klägerin vom 19. April 2004, Leistungen für die nicht durch eigene Einkünfte gedeckten Heimkosten zu gewähren, lehnte der Beklagte ab. Zwar bestehe unter Berücksichtigung der Witwenrente, der Leistungen der Pflegekasse und eines Pflegewohngeldes grundsätzlich ein Anspruch in Höhe von monatlich 320,60 Euro. Die Klägerin verfüge jedoch über ein Vermögen in Höhe von 6.000 Euro (auf Treuhandkonto hinterlegtes Geld), das nach Abzug des geschützten Vermögens (2.301 Euro) in Höhe von 3.699 Euro zunächst zu verwerten sei (Bescheid vom 26. August 2004; Widerspruchsbescheid vom 24. Februar 2005).
Nachdem die Klägerin beim Verwaltungsgericht (VG) Schleswig Klage erhoben und das VG das Verfahren an das Sozialgericht (SG) Schleswig verwiesen hatte, hat das SG den Beklagten unter Aufhebung des Bescheids vom 26. August 2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 24. Februar 2005 verurteilt, "der Klägerin Sozialhilfeleistungen, ohne Anrechnung des Vermögens der Klägerin in Form des Bestattungsvorsorgevertrages, zu gewähren" (Urteil vom 12. Dezember 2005). Das Schleswig-
Mit ihrer Revision rügt die Klägerin eine Verletzung des § 88 BSHG und des § 90 SGB XII. Das zum Zweck einer angemessenen Beerdigung und Grabpflege angelegte Vermögen sei im Hinblick auf den Schutz der Menschenwürde (Art 1 Abs. 1 Grundgesetz (GG)) und der Glaubensfreiheit (Art 4 Abs. 1 GG) auf Grund der Härtefallregelungen des § 88 Abs. 3 BSHG (in Kraft bis 31. Dezember 2004) und des § 90 Abs. 3 SGB XII (in Kraft ab 1. Januar 2005) nicht verwertbar. Das LSG habe es zudem unterlassen, die Verwertbarkeit des Vermögens nach den vertraglichen Regelungen zu überprüfen; zumindest handele es sich nicht um bereites Vermögen, weil es nicht in angemessener Zeit zu realisieren sei.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des LSG aufzuheben und die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des SG zurückzuweisen.
Der Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Er hält die Entscheidung des LSG für zutreffend.
II
Die Revision der Klägerin ist im Sinne der Aufhebung und Zurückverweisung der Sache an das LSG begründet (§ 170 Abs. 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG)). Mangels ausreichender tatsächlicher Feststellungen (§ 163 SGG), die das LSG -
Gegenstand des Revisionsverfahrens ist der Bescheid des Beklagten vom 26. August 2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 24. Februar 2005 (§ 95 SGG), gegen den sich die Klägerin mit einer kombinierten Anfechtungs-
Selbst der Umstand, dass das SG nicht expressis verbis über vorrangige Leistungen nach dem GSiG für die Zeit bis 31. Dezember 2004 entschieden hat -
Von Amts wegen zu berücksichtigende Verfahrensmängel, die einer Sachentscheidung entgegenstehen, liegen nicht vor. Insbesondere ist die Klagefrist von einem Monat (§ 87 SGG) gewahrt. Die Klägerin hat gegen den Widerspruchsbescheid vom 24. Februar 2005 -
Zu Recht ist die Klage auch gegen den Landrat als beteiligtenfähige Behörde des Kreises Stormarn als nach dem GSiG, dem BSHG und dem SGB XII i.V.m. den Landesausführungsgesetzen zuständigen Leistungsträgers gerichtet worden (§ 70 Nr. 3 SGG; vgl. zur Beteiligtenfähigkeit der Behörde: BSG, Urteil vom 16. Oktober 2007 -
Denkbare Anspruchsgrundlagen für den von der Klägerin geltend gemachten Anspruch sind für die Zeit bis 31. Dezember 2004 §§ 11, 21 ff BSHG, §§ 27, 28 BSHG i.V.m. §§ 68 ff BSHG bzw. §§ 39 ff BSHG sowie §§ 1, 2 GSiG und für die Zeit ab 1. Januar 2005 § 19 Abs. 1, 2 und 3 SGB XII i.V.m. §§ 41 ff SGB XII, 27 ff SGB XII, 61 ff SGB XII bzw. §§ 53 ff SGB XII. Alle diese Regelungen setzen voraus, dass die Klägerin ihren Bedarf nicht durch Einkommen oder Vermögen beschaffen kann; dabei gelten für die Zeit bis 31. Dezember 2004 die §§ 76 bis 88 BSHG (vgl. für das GSiG § 3 Abs. 2 GSiG) und für die Zeit ab 1. Januar 2005 die §§ 82 bis 92 SGB XII. Die Ausführungen des LSG in seinem Urteil ermöglichen es dem Senat -
Vermögen sind alle beweglichen und unbeweglichen Güter und Rechte in Geld oder Geldeswert; umfasst werden auch Forderungen bzw. Ansprüche gegen Dritte (vgl. nur Wahrendorf in Grube/Wahrendorf, SGB XII, 2. Aufl., § 90 SGB XII RdNr. 5 f und 10; W. Schellhorn in Schellhorn/Schellhorn/Hohm, SGB XII, 17. Aufl., § 90 SGB XII RdNr. 4 und 7; s auch Mecke in Eicher/Spellbrink, SGB II, 2. Aufl., § 12 RdNr. 13 m.w.N.). Vermögen der Klägerin ist damit zum einen deren Hauptleistungsanspruch gegen den Unternehmer aus dem Bestattungsvorsorgevertrag, zum anderen sind Vermögen aber auch alle aus dieser vertraglichen Beziehung resultierenden Rückabwicklungsansprüche nach Auflösung dieses Vertrags bzw. Ansprüche der Klägerin gegen denjenigen, bei dem die 6.000 Euro auf einem Treuhandkonto hinterlegt sind. Ob diese Ansprüche im Sinne der gesetzlichen Regelung verwertbar sind, beurteilt sich unter rechtlichen und tatsächlichen Gesichtspunkten; der Vermögensinhaber muss über das Vermögen verfügen dürfen, aber auch verfügen können (vgl. nur Mecke, a.a.O., § 12 RdNr. 30 ff). Beide Aspekte verlangen darüber hinaus eine Berücksichtigung des zeitlichen Moments: Der Vermögensinhaber verfügt nicht über bereite Mittel, wenn er diese nicht in angemessener Zeit realisieren kann (Mecke, a.a.O., RdNr. 33 m.w.N.).
Soweit es den vertraglichen Hauptleistungsanspruch der Klägerin gegen den Bestattungsunternehmer aus dem Bestattungsvorsorgevertrag betrifft, dürfte davon auszugehen sein, dass dieser Anspruch, selbst wenn die Klägerin darüber verfügen darf, jedenfalls faktisch nicht verwertbar ist. In Betracht käme ohnedies allenfalls ein Verkauf dieses Rechts an einen Dritten. Allerdings dürfte dieser Verkauf daran scheitern, dass Bestattungsvorsorgeverträge üblicherweise so individuell gestaltet sind, dass ein anderer an der Übernahme eines solchen Rechts keinerlei Interesse haben dürfte. Genauere Feststellungen des LSG hierzu fehlen indes. Das LSG hat sich vielmehr bei seiner Entscheidung auf die Prüfung der Rückabwicklungsansprüche beschränkt und dabei nur erörtert, ob der von der Klägerin geschlossene Bestattungsvorsorgevertrag hätte gekündigt werden können. Selbst diese Überlegung greift zu kurz; sie beachtet nicht -
Der am 6. April 2004 von der Klägerin abgeschlossene Bestattungsvorsorgevertrag ist ein sog gemischter, überwiegend dem Werkvertragsrecht unterliegender Vertragstyp (vgl. nur: Jacobsen, ZfS 2007, 132 f). Hieraus ergibt sich zwar ein grundsätzliches Kündigungsrecht des Bestellers (§ 649 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB)), wonach dieser bis zur Vollendung des Werkes jederzeit den Vertrag kündigen kann, der Unternehmer jedoch dann berechtigt ist, die vereinbarte Vergütung unter Anrechnung der ersparten Aufwendungen und des durch anderweitige Verwendung seiner Arbeitskraft Erlangten zu verlangen. Die gesetzliche Regelung ist allerdings vertraglich abdingbar; hierzu fehlen ebenfalls Feststellungen des LSG. Nicht klar ist außerdem, welcher Betrag der Klägerin im Falle einer Kündigung des Vertrags tatsächlich zur Verfügung stünde (hierzu später), sodass nicht beurteilt werden kann, welches Vermögen der Klägerin nach Abzug des geschützten Vermögens in Höhe von 2.301 Euro (vgl. bis 31. Dezember 2004: § 88 Abs. 2 Nr. 8 BSHG i.V.m. § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Buchst a der Verordnung zur Durchführung des § 88 Abs. 2 Nr. 8 BSHG) bzw. in Höhe von 2.600 Euro (ab 1. Januar 2005: § 90 Abs. 2 Nr. 9 SGB XII i.V.m. § 1 Abs. 1 Satz 1 Buchst a der Verordnung zur Durchführung des § 90 Abs. 2 Nr. 9 SGB XII) verbleibt (vgl. zur Auslegung des Begriffs der kleineren Barbeträge oder sonstigen Geldwerte: Brühl/Geiger in Lehr-
Selbst wenn man eine rechtliche Verwertbarkeit mit dem Resultat eines über dem Schonvermögen liegenden Betrags annähme, bliebe immer noch zu prüfen, ob die Klägerin rechtlich und tatsächlich in der Lage gewesen wäre, diesen Betrag innerhalb angemessener Zeit tatsächlich zu verwerten, ohne dass ihr deshalb nur ein Darlehen gemäß § 89 BSHG bzw. § 91 SGB XII gewährt werden dürfte (vgl. dazu im Rahmen des § 9 Abs. 4 Sozialgesetzbuch Zweites Buch -
Wäre Verwertbarkeit im bezeichneten Sinne zu bejahen, käme jedenfalls eine Verschonung der Mittel nach § 88 Abs. 2 BSHG (in der bis 31. Dezember 2004 geltenden Fassung) bzw. nach § 90 Abs. 2 SGB XII (ab 1. Januar 2005) nicht in Betracht. Nach diesen Normen darf die Gewährung von Leistungen der Sozialhilfe vom Einsatz oder von der Verwertung bestimmter in den Nr. 1 bis 8 (bis 31. Dezember 2004) bzw. den Nr. 1 bis 9 (ab 1. Januar 2005) aufgeführter Vermögenswerte (sog Schonvermögen) nicht abhängig gemacht werden. Zu den in den Normen abschließend aufgezählten Fallgruppen ist der Bestattungsvorsorgevertrag nicht zu rechnen.
Eine Verwertung des Vermögens würde auch nicht an § 88 Abs. 3 Satz 2 BSHG (bis 31. Dezember 2004) bzw. § 90 Abs. 3 Satz 2 SGB XII (seit 1. Januar 2005) scheitern. Danach ist bei Hilfe in besonderen Lebenslagen bzw. (seit 1. Januar 2005) nach dem 5. bis 9. Kapitel des SGB XII eine Härte insbesondere zu bejahen, soweit eine angemessene Lebensführung oder die Aufrechterhaltung einer angemessenen Alterssicherung wesentlich erschwert würde. Auch für diese besonderen Leistungen außerhalb der Hilfe zum Lebensunterhalt bzw. der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung erfasst die Norm nicht den vorliegenden Bestattungsvorsorgevertrag. Die "angemessene Lebensführung" und die "angemessene Alterssicherung" findet begriffsnotwendig ihr Ende mit dem Tod des Betreffenden. Eine Vorsorge des Hilfesuchenden für die Zeit nach seinem Tod kann unter diese Norm nicht subsumiert werden (Bundesverwaltungsgericht (BVerwG), Urteil vom 11. Dezember 2003 -
Denkbar ist jedoch eine Vermögensverschonung nach § 88 Abs. 3 Satz 1 BSHG (bis 31. Dezember 2004) bzw. nach § 90 Abs. 3 Satz 1 SGB XII (seit 1. Januar 2005). Nach diesen Vorschriften darf die Sozialhilfe nicht vom Einsatz oder der Verwertung eines Vermögens abhängig gemacht werden, soweit dies für denjenigen, der das Vermögen einzusetzen hat, eine Härte bedeuten würde. Auch zur abschließenden Beurteilung dieser Frage fehlen ausreichende tatsächliche Feststellungen des LSG.
Insoweit hat bereits das BVerwG (Urteil vom 11. Dezember 2003 -
Soweit der Beklagte vorbringt, die Rechtsprechung des BVerwG sei vorliegend nicht einschlägig, weil die Klägerin im Gegensatz zu dem vom BVerwG entschiedenen Fall den Bestattungsvorsorgevertrag nicht einmal zwei Wochen vor Aufnahme in das Alten-
Ob ein solcher direkter Vorsatz bei der Klägerin vorlag, wird das LSG ggf. zu ermitteln haben. Nicht genügend ist es, wenn die Klägerin, wie dies für einen Kostenersatz nach § 92a BSHG bzw. § 103 SGB XII vorgesehen ist, die Bedürftigkeit vorsätzlich oder grob fahrlässig herbeigeführt hat, ohne dass es ihr zielgerichtet um den Erwerb eines Leistungsanspruchs ging (s dazu Schaefer in Fichtner/Wenzel, Kommentar zur Grundsicherung, 3. Aufl., § 26 SGB XII RdNr. 10). Beruht die Anerkennung eines angemessenen Bestattungsvorsorgevertrags als Schonvermögen auf dem Gedanken der Selbstbestimmung und Menschenwürde auch für die Zeit nach dem Ableben, so kann nicht bereits das Herbeiführen späterer Bedürftigkeit der Annahme eines Härtefalls entgegenstehen; vielmehr kann sich dies nur aus der individuellen Einstellung des Betreffenden ergeben, wenn sein Ziel nicht eine würdige Gestaltung seiner Beerdigung und der Grabpflege, sondern die Leistungsgewährung an sich ist. Es wird dann aber zu erwägen sein, ob es sich rechtfertigen lässt, der Klägerin so lange Sozialhilfeleistungen zu versagen, wie überhaupt noch verwertbares Vermögen vorhanden ist, oder ob nicht nur eine zeitlich befristete Versagung der Leistungen gerechtfertigt ist (vgl. dazu i.R.d. § 26 SGB XII: Schlette in Hauck/Noftz, SGB XII, K § 26 RdNr. 30, Stand Februar 2007; Adolph in Linhart/Adolph, SGB II, SGB XII und Asylbewerberleistungsgesetz, § 26 SGB XII RdNr. 39, Stand Juli 2006). Ob der von der Klägerin abgeschlossene Bestattungsvorsorgevertrag allerdings unter Berücksichtigung der einzelnen vorgesehenen Leistungen und den örtlichen Preisen angemessen ist, lässt sich nach den Feststellungen des LSG wiederum nicht beurteilen. Das LSG wird dies ggf. nachzuholen haben.
Selbst wenn eine Angemessenheit (vgl. dazu auch BVerwG, Urteil vom 11. Dezember 2003 -
Das LSG wird ggf. auch über den Leistungsbeginn (§ 5 BSHG; § 6 GSiG) und die Kosten des Revisionsverfahrens zu befinden haben.